Rund um den 25. November – Aktionen gegen patriarchale Gewalt
21/12/2025Samstag: Feministische Nachtwache
Auch in diesem Jahr organisierte das Frauenkollektiv Stuttgart gemeinsam mit weiteren Gruppen mehrere Aktionen rund um den 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen*. In verschiedenen Formaten machten wir patriarchale Gewalt sichtbar, stärkten solidarische Strukturen und setzten ein lautes Zeichen gegen Femizide und alltägliche Übergriffe.
Am Samstag vor dem 25. November waren wir als feministische Nachtwache in der Stuttgarter Innenstadt unterwegs. Wir kamen mit Frauen ins Gespräch und fragten nach ihren Erfahrungen im Nachtleben. Berichtet wurde von Belästigungen, Übergriffen und sexistischen Sprüchen. Ebenso von den Strategien, die viele anwenden müssen, um sicher nach Hause zu kommen: Schlüssel zwischen den Fingern, Telefonate vortäuschen, Getränke bewachen, Standorte teilen.
Wir fragten weiblich gelesene Personen nach ihren Erfahrungen zu Sexismus im Nachtleben und sammelten diese auf einem Körperumriss aus Pappe – die Antworten waren deutlich und erschütternd:
- „Rasier dich mal!“
- „Was hier titten?“
- Hand auf Arsch
- Grenzüberschreitungen auf dem Heimweg
- Küssen ohne Konsens
- „Du Schlampe!“
- „Bumsen?“
- „Schick Nudes“
- Öffentliche Masturbation in der Bahn, mir gegenüber
- Hand in der Hose ohne Konsens auf Party
- Jemand reibt sein Schwanz an dir im Club
Um dann noch gezielter Männer anzusprechen, verteilten wir ein feministisches Bingo mit typischen Situationen und Schutzstrategien, die Frauen im öffentlichen Raum kennen. Wer hier kein Bingo erreicht, hat diese Erfahrungen schlicht nicht machen müssen – was wohl daran liegen muss, dass es Männer sind.

Montag: Kundgebung und Demonstration zum Femizid an Aleyna in Stuttgart Ost
Am Montag folgte eine Kundgebung mit anschließender Demonstration zum laufenden Prozess zum Femizid an Aleyna. Etwa 150 Menschen versammelten sich vor dem Landgericht in Stuttgart und zogen anschließend lautstark zum ehemaligen Wohnhaus von Aleyna. Redebeiträge kamen an diesem Abend von der Organisierten Autonomie Stuttgart, dem Frauenkollektiv Stuttgart, ADHK, Frauen helfen Frauen, dem Aktionsbündnis 8. März und Aleynas Mutter. Außerdem wurde die Kundgebung mit musikalischen Beiträgen des feministischen Chors unterstützt.
Wir machten in der gemeinsamen Rede mit der organisierten autonomie Stuttgart deutlich, dass ein Angriff auf uns ein Angriff auf uns alle ist und der Staat uns nicht schützen wird:
„Im Januar diesen Jahres wurde die 25-jährige Aleyna hier in Stuttgart Ost ermordet. Kurz darauf wurde der Täter verhaftet und wegen Mordes angeklagt. Wir haben den Prozess beobachtet und konnten schnell feststellen, wie tiefgreifend Sexismus und stereotype Denkmuster in unserer Justiz verankert sind. Während der Täter sich als Opfer inszenierte, bemühte sich die Justiz die Glaubwürdigkeit der eigentlichen Betroffenen zu hinterfragen und bedient damit das traurige Klischee des unglücklichen Beziehungsdramas und der verführerischen Frau. Das trägt letztlich zu einer erfolgreichen Opfer-Inszenierung des Täters bei, während Hinterbliebene sich bemühen, der Betroffenen eine Stimme zu geben und für Gerechtigkeit kämpfen.
Der Prozess ist weiterhin in Gange und der Täter hat in der Zwischenzeit die Tat gestanden. Doch auch wenn die Justiz den Täter schnell gefasst und vor Gericht gebracht hat, kehrt damit keine Gerechtigkeit ein, das morden geht weiter. Noch während des Prozesses um diesen Femizid, gab es bereits mehrere weitere Femizide, unter anderem nur wenige Kilometer von hier im Kreis Esslingen, in Kirchheim Teck. Deshalb reicht es uns nicht aus, dass Mal um Mal die Mörder hinter Gittern verschwinden und dennoch alles so weitergeht, wie bisher.
Wir gehen deshalb auf die Straße, nicht nur um unserer Wut und Trauer Ausdruck zu verleihen, sondern um zum einen eine Gesellschaft zu fordern, in der wir Frauen endlich sicher sind. Und zum anderen eine Gesellschaft anzuklagen die solche Täter und deren Taten, immer wieder aufs Neue hervorbringt. Eine Gesellschaft, die den Hass auf uns Frauen kultiviert, in unseren Alltag eingeschrieben hat und uns als Normalität verkauft. [..]
Um zukünftige Femizide zu verhindern, helfen Polizei und Justiz nicht weiter. Denn die Männer, die uns Frauen ermorden, weil wir Frauen sind, tun dies, weil sie unsere Leben nicht für wertvoll genug halten und darüber entscheiden, ob wir leben dürfen oder nicht. Weil sie denken, es stände ihnen zu und es wäre ihr Recht. Juristische Urteile, die die Täter hinter Gittern bringen, wirken nicht abschreckend, um zukünftige Femizide verhindern, denn das morden geht einfach immer weiter. Justiz und Polizei sind hier machtlos und stellen kein Gegengewicht oder gar einen verlässlichen Schutz für uns dar. Denn deren Aufgabe ist es in erster Linie, die jetzige Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten und nicht für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der der Mensch an erster Stelle steht, unabhängig von seinem Geschlecht. [..]
Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der wir nicht länger weniger wert sind, sondern wie Menschen behandelt werden. Um dies zu erreichen, müssen wir es denen, die unsere tägliche Unterdrückung rechtfertigen, verharmlosen oder gar glorifizieren, so unbequem wie möglich machen. Auf dass unsere Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung wahr werden kann und ungleiche Geschlechterverhältnisse, Gewalt gegen Frauen und Femizide der Vergangenheit angehören.“
Zum Abschluss gedachten wir Aleyna gemeinsam vor ihrem ehemaligen Wohnhaus. Wir legten Blumen nieder, zündeten Kerzen an und sangen das Lieblingslied von ihr und ihrer Mutter.
Danach haben wir den Abend gemeinsam im Gasparitsch bei Tee und Kecksen gemütlich ausklingen lassen.
Die Aktion verband kollektive Trauer über den unbegreiflichen Verlust von Aleyna mit einem klaren, kämpferischen Zeichen nach außen gegen patriarchale Gewalt und gegen einen Staat, der Frauen nicht ausreichend schützt.
Die Botschaft war eindeutig: Femizide sind keine Einzelfälle, sie sind Ausdruck eines Systems, das männliche Gewalt ermöglicht und zu oft toleriert.




Dienstag: Demonstration „We fight back“ des Aktionsbündnis 8. März
Am Dienstag gingen wir trotz Regen mit rund 1.200 Menschen zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen gemeinsam auf die Straße zur Demonstration und Kundgebung des Aktionsbündnis 8. März. Laut, wütend, kämpferisch und entschlossen. Der Frauenblock führte die Demonstration mit klaren Parolen an. Bei der Abschlusskundgebung sprachen wir als Frauenkollektiv nochmals gemeinsam mit Aleynas Mutter.
Sie machte in ihrer Rede deutlich:
„Ich stehe heute hier als Mutter. Als Mutter zweier Töchter. Zwei Leben, zwei Herzen, zwei Seelen, die mein eigenes Herz tragen.
Meine Tochter Aleyna war voller Energie, voller Träume, voller Lebensfreude. Sie studierte Gymnasiallehramt – in mehreren Fächern, mit Leidenschaft und Verantwortung. Sie wollte junge Menschen begleiten. Sie wollte ihnen Hoffnung geben. Sie wollte Zukunft gestalten. Nur wenige Wochen trennten sie noch von ihrem Abschluss. Sie hatte Pläne. Sie hatte Ziele. Sie hatte Zukunft und doch wurde ihr diese Zukunft genommen.
Nicht irgendwo. Sondern in ihrem eigenen Zuhause, an dem einzigen Ort, an dem sie sich sicher fühlen durfte. Der Täter lauerte drei Stunden im Treppenhaus. Drei Stunden. Schwarz gekleidet. Mit Sturmmaske. Für jede und jeden sichtbar. Und niemand hat gehandelt. Niemand hat zum Telefon gegriffen. Niemand hat die Polizei gerufen. Obwohl genug Zeit war. Mehr als genug. [..]
Ich sage das nicht, um zu verurteilen. Ich sage das, weil wir hinsehen müssen. Weil wir nicht wegsehen dürfen. Denn jedes merkwürdige Verhalten, jede unbequeme Situation, jedes Gefühl, dass etwas „nicht stimmt“, geht uns alle etwas an.
Wenn Menschen schweigen, wenn Menschen nicht handeln, dann fühlen sich Täter sicher. Sie glauben, dass niemand sie stoppen wird. Und so wird Gewalt wiederholt. So entsteht neues Leid.
Unser Handeln, unser Hinschauen – unsere Stimme – unser Mut – das ist es, was Tätern Macht nimmt. Wir alle tragen Verantwortung: als Nachbarn, als Freunde, als Mitmenschen. Und auch Polizei, Justiz und Politik müssen früher, klarer, entschlossener handeln.
Wenn es meine Tochter treffen konnte, in ihrem eigenen Haus, dann kann es jeden treffen.
Aber wir entscheiden, ob wir wegsehen oder ob wir aufstehen und helfen.
Ich lebe weiter für das, was bleibt. Für die Liebe, die ich noch geben darf. Für das Leben, das weitergeht. Für die Kraft, nicht aufzugeben. Ich stehe heute hier nicht nur für Aleyna, sondern für alle Töchter, die bedroht wurden,
für alle Mütter, die ihr Kind verloren haben,
für alle Femizid-Opfer, deren Stimmen verstummt sind. [..]“

