Femizide Stoppen! Ein Angriff gegen eine ist ein Angriff gegen alle!
06/11/2025Im Januar dieses Jahres wurde Aleyna hier in Stuttgart-Ost ermordet. Kurz darauf wurde der Täter verhaftet und er stand nun vor Gericht, wo er verurteilt werden wird. Auch wenn die Justiz den Täter schnell gefasst hat, er vor Gericht gebracht wurde und dieser vermutlich auch hinter Gittern verschwinden wird, kehrt damit keine Gerechtigkeit ein, das Morden geht weiter. Denn nachdem der Prozess um diesen Femizid noch verhandelt wird, gab es in dieser Zeit bereits mehrere weitere Femizide. Nur wenige Kilometer von hier im Kreis Esslingen, in Kirchheim/Teck, hat ein 26-Jähriger seine 30-Jährige Freundin umgebracht und auch dieser wurde bereits gefasst. Das zeigt, dass trotz einer „funktionierenden“ Justiz, für uns Frauen* diese Welt eine gefährliche bleibt und wir uns nicht auf Behörden und Justiz verlassen können. Deshalb reicht es uns nicht aus, dass Mal um Mal die Mörder hinter Gittern verschwinden und dennoch alles so weiter geht, wie bisher.
Wir gehen deshalb auf die Straße, nicht nur um unserer Wut und Trauer Ausdruck zu verleihen, sondern um zum einen eine Gesellschaft zu fordern, in der wir Frauen endlich sicher sind. Und zum anderen eine Gesellschaft anzuklagen, die solche Täter und deren Taten immer wieder aufs Neue hervorbringt. Eine Gesellschaft, die den Hass auf uns Frauen kultiviert, in unseren Alltag eingeschrieben hat und uns als Normalität verkauft. Eine Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen nach wie vor existiert und die Grundlage unserer Gesellschaft – kapitalistischer Ausbeutung verwoben mit patriarchaler Unterdrückung – einen guten Nährboden dafür stellt. Da Hass auf uns also zur Alltagskultur gehört und Normalität ist, bekommen wir ihn auch überall zu spüren. Dieser kommt in frauenfeindlichen Witzen daher, über die nach wie vor gelacht wird, und zeigt sich darin, dass weibliche Körper immer sexualisiert werden, sobald sie sich (nackt) zeigen. Im Marketing werden für die absurdesten Produkte weibliche Körper immer noch gerne genutzt, in der Hoffnung die Verkaufszahlen anzukurbeln, und so den Profit zu steigern. Frauenfeindlichkeit artikuliert sich außerdem in anzüglichen Anmachsprüchen, Kussgeräuschen, Hinterherrufen mitten auf der Straße oder fragt letztlich auch nach der Länge des Rockes nach einer Vergewaltigung.
Aussagen, wie, dass Frauen zurück an den Herd gehören und somit aus der Öffentlichkeit verbannt werden sollen, gehören mittlerweile wieder zum „guten“ Ton konservativer und rechter Politiker und sie verkaufen es als „einfach eine Meinung“. Das heutige Phänomen der Tradwives (traditional housewives) auf Socialmedia ist ein Abbild für diesen Rollback. Diese Frauen inszenieren dort eine Ästhetik der 1950er Jahre, sie lehnen den Feminismus ab und propagieren eine Rückkehr zu einer vermeintlich gottgegebenen Ordnung. Mit einer „natürlichen“ Rollenverteilung der Geschlechter, in der die Frau unter dem Mann steht und sie dem Manne zu dienen hat – so wie bei Adam und Eva. Die Erzählung über die vermeintlich göttliche Ordnung und dass daraus ableitend Frauen weniger wert seien, ist allerdings nicht nur ein Phänomen auf Socialmedia, sondern auch Teil der deutschen Kultur. Dies beginnt bereits im Kindergarten und wird später im Religionsunterricht an Schulen gelehrt.
Wir, die wir gegen patriarchale Unterdrückung und für die Befreiung der Frau kämpfen, müssen uns die Frage stellen, was in dieser Gesellschaft schief läuft, dass sie die Notwendigkeit hervorbringt, einen großen Teil ihrer Mitglieder systematisch abzuwerten.

Unsere hiesigen Verhältnisse sind das Problem
Die Verhältnisse, in denen wir leben, beruhen auf Ausbeutung, Unterdrückung, Profitzwang und Konkurrenzdruck. Wir müssen unsere Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, um überleben zu können. Dabei wird versucht, uns zu spalten und uns aufgrund unserer (vermeintlichen) Herkunft oder unseres Geschlechts schlechtere Arbeits- und Lohnbedingungen reinzudrücken. Z.B. mit irgendwelchen Bullshitargumenten, wie dass Frauen nicht durchsetzungsfähig seien, nicht hart genug, nicht genügend vermeintlich männliche Eigenschaften mitbringen würden etc. Wir werden schlechter entlohnt, müssen proportional häufiger in prekären Stellen arbeiten und geraten viel häufiger in ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse in der Familie oder Partnerschaften. Zudem werden wir zu Sündenböcken gemacht, wenn männliche Lebensentwürfe ins Wanken geraten. Oder wenn die Vorstellungen nicht aufgehen, dass Männer bekommen würden was ihnen zusteht, wenn sie nur hart ranklotzen. Dies alles fördert gewaltvolle Strukturen und die Not von vielen Frauen, in ihnen verharren zu müssen.
Die systemische Abwertung alles Nicht-männlichen aufgrund einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft und patriarchalen Strukturen schlägt sich letztlich auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen nieder. Frauen werden abgewertet und auf ihren Platz gestellt oder sogar getötet. Durch die Abwertung wird dafür gesorgt, dass sie verinnerlichen, dass sie weniger wollen sollen und weniger bekommen werden. Dies trägt mitunter dazu bei, dass das System am Laufen gehalten wird.
Diese Gesellschaft löst für immer weniger Menschen die Versprechen von Wohlstand und Sicherheit ein und produziert durch immer mehr Konkurrenzdruck Armutsängste und gewaltvolle Verhältnisse. Gepaart mit patriarchaler Abwertung und Besitzansprüchen bringt eine solche Gesellschaft Menschen hervor, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts töten.

Die Pfleger des Patriarchats
Wenn wir über die Ursachen der Abwertung von uns Frauen sprechen, kommen wir auch nicht drum herum, über diejenigen zu sprechen, die diese hegen und pflegen. Denn wir müssen neben den Tätern auch die Pfleger des Patriarchats in die Verantwortung nehmen. Sei es der Rechtsanwalt bei Gerichtsverhandlungen um sexualisierte Gewalt oder Femiziden, der durch Nachfragen nach dem Kleidungsstück oder in seinen Augen anzüglichen Hobbies versucht, den Betroffenen eine Mitschuld zu geben. Oder aber der Chef im Betrieb, der zur kapitalistischen Ausbeutung noch die sexuelle hinzufügt und für die Beförderung noch Sex erwartet, so wie der ehemalige Oberinspekteur Renner bei der Stuttgarter Polizei. In dieser Aufzählung darf natürlich der Stuttgarter Oberbürgermeister nicht fehlen, der mit „schaffen statt gendern“ in den Wahlkampf zog. Die Kritik an frauenfeindlichen Bildern auf Wasenbuden tat er als Tradition ab und bat um Zurückhaltung, da dies den Profit schmälern würde und den Armen, damals von Corona geplagten, Schaustellern nicht gerecht werden würde.
Und wenn wir Frauen aufbegehren, uns dagegen wehren, die Stimme erheben, sind diese Herren die ersten, die uns mit Begriffen wie „Männerhass“ abstrafen und eine tatsächliche Kritik an den Verhältnissen schon im Keim ersticken. Nopper, Renner, Rechtsanwalt XY und Polizist so und so, sind Vertreter und Verteidiger dieser Verhältnisse und sie sind, gemeinsam mit den Tätern, das verdammte Problem. Sie schaffen den Nährboden, worauf Täter, wie der von Aleyna, (auf-)wachsen und gedeihen können und sich letztlich im Recht sehen, das Leben einer Frau zu beenden.

Polizei und Justiz lösen das Problem nicht…
Nach erlebter Gewalt hilft der Gang zu Polizei und Justiz meist nicht weiter. Denn weder Polizei und Justiz, noch die hiesigen Hilfesysteme können die Frauen letztlich vor roher Gewalt schützen. Vielen Betroffenen wird nicht geglaubt, richtige und wichtige Hilfe wird vielen verwehrt und die hiesigen Hilfesysteme im allgemeinen Sozialabbau zusammengestrichen. Um zukünftige Femizide zu verhindern, helfen Polizei und Justiz nicht weiter. Denn die Männer, die uns Frauen ermorden, weil wir Frauen sind, tun dies, weil sie unsere Leben nicht für wertvoll genug halten und darüber entscheiden, ob wir leben dürfen oder nicht. Weil sie denken, es stände ihnen zu und es wäre ihr Recht. Juristische Urteile, die die Täter hinter Gittern bringen, wirken nicht abschreckend, um zukünftige Femizide verhindern, denn das Morden geht einfach immer weiter. Justiz und Polizei sind hier machtlos und stellen kein Gegengewicht oder gar einen verlässlichen Schutz für uns dar. Denn deren Aufgabe ist es in erster Linie, die jetzige Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten und nicht für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der der Mensch an erster Stelle steht, unabhängig von seinem Geschlecht.

Wir nehmen kein Blatt mehr vor den Mund, wir sprechen es aus: „Männer sind die Schweine die uns umbringen, aber die Gesellschaft, in der wir leben, bringt diese Männer hervor.“
Wenn wir also sicher leben möchten, reicht es uns nicht aus, dass die Täter weggesperrt werden. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der wir nicht länger weniger wert sind, sondern wie Menschen behandelt werden. Um dies zu erreichen, müssen wir es denen, die unsere tägliche Unterdrückung rechtfertigen, verharmlosen oder gar glorifizieren, so unbequem wie möglich machen. Wir sorgen dafür, dass der Dreck, den sie tagtäglich über unseren Köpfen ausschütten, auf sie selbst zurück fällt.
Dafür müssen wir uns zusammenschließen, unseren Kampf gemeinsam artikulieren, und dafür sorgen, dass sowohl den Tätern, als auch den Pflegern des Patriarchats der Nährboden entzogen wird.
Wir müssen diese Gesellschaft, die uns untereinander in Konkurrenz zwingt, bekämpfen und für eine Gesellschaft einstehen, in der Frauen nicht länger von Männern bedrängt, erniedrigt, klein gehalten und getötet werden. Wir müssen uns zusammenschließen und unsere Trauer über die von uns genommenen und getöteten Frauen zu Wut werden lassen und unseren Kampf laut, deutlich und entschlossen anführen.
Auf dass unsere Perspektive einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung wahr werden kann und ungleiche Geschlechterverhältnisse, Gewalt gegen Frauen und Femizide der Vergangenheit angehören.

„Wir reden drüber“-Diskussionsrunde zum Thema „Gewalt gegen Frauen hat System – warum ist das so?“
am Dienstag, 18.11.2025 | 19.00 Uhr | Stadtteilzentrum Gasparitsch
Feministische Nachtwache vom Frauenkollektiv Stuttgart
am Samstag, 22.11.2025 | 19.00 Uhr | Unterführung Rotebühlplatz
Kundgebung und Demo zum Femizid an Aleyna aus Stuttgart-Ost
voraussichtlich am Montag, 24.11.2025 | 18.00 Uhr | Landgericht Stuttgart
(Die Kundgebung soll am Tag des Prozessendes stattfinden – informiert euch bei @frauenkollektiv_stuttgart für den aktuellen Termin)
Kundgebung und Demo „We fight back“ vom Aktionsbündnis 8. März
am Dienstag, 25.11.2025 | 17.30 Uhr | Wilhelmsplatz Stuttgart
Offenes Treffen vom Frauenkollektiv Stuttgart
am Montag, 08.12.2025 | um 19.00 Uhr | im Stadtteilzentrum Gasparitsch

